Das Buch der Namen als ewige Erinnerung

Bevor ich überhaupt anfange, euch von einem mich sehr bewegenden Moment zu berichten, möchte ich vorab sagen, dass es mir nicht leicht fällt, mich auf einen einzigen Eindruck zu beschränken. Foto Lisanne
Während der gesamten Gedenkstättenfahrt nach Auschwitz habe ich ständig neue Eindrücke gesammelt, die mich immer wieder aufs Neue zum Nachdenken gebracht haben und immer noch bringen und mich auch weiterhin begleiten. So möchte ich einige meiner Gedanken mit euch teilen, auch wenn es kaum möglich ist, die Wahrnehmungen, die ich vor Ort empfunden habe, in Worte zu fassen, da Worte niemals genau die Empfindungen widerspiegeln können, die ich in der Realität - in Auschwitz - verspürt habe.


Seit ich das ehemalige Stammlager von Auschwitz (Auschwitz I) betreten habe, begleitet mich besonders die Erinnerung an Block 27. An den Block, in welchem ein riesiges Buch aufbewahrt wird, das nur mit Namen gefüllt ist - mit all den Namen, die von den Opfern der Shoah bekannt sind.
Foto Lisanne II
Das sogenannte "Book of Names" besteht aus insgesamt mehr als 16.000 Seiten, die von oben bis unten voll beschrieben sind. Es würde ganze Monate in Anspruch nehmen, jeden einzelnen enthaltenen Namen zu lesen. Jeder dieser Namen, der nicht einmal den Bruchteil einer Seite ausmacht, stellt wiederum nur einen winzigen Bestandteil des ganzen Buches dar.
Als ich mir das klar gemacht hatte, war ich sprachlos. Es ist schockierend und unfassbar, denn es handelt sich hierbei nicht nur um Namen - hinter jedem Namen verbirgt sich ein ganzes Menschenleben. Alle diese Menschen hätten ein glückliches Leben voller Freude verdient, aber sie konnten nicht über ihr eigenes Leben und ihre Zukunft entscheiden, da ihnen jegliche Freiheit völlig genommen wurde. Jeder einzelne Name trägt seine ganz eigene Geschichte in sich, die auf grausame und tragische Weise beendet worden ist. Als ich dort vor diesen unzähligen Seiten stand, habe ich versucht, den Namen "Frieda Bär", mit deren Geschichte ich mich beschäftigt hatte, zwischen den endlosen aufgelisteten Namen der Ermordeten wiederzufinden. Ich erwartete ihren eher ungewöhnlichen Namen nur einmal zu finden. Doch während ich schließlich in den eng bedruckten Seiten auf ihren Namen stieß, las ich ihn wieder und wieder:
Insgesamt entdeckte ich ihn acht Mal. Foto Lisanne III
Doch es ist genau richtig, dass dieses Buch in den Menschen Erschütterung auslöst, die sich gedanklich in unsere düstere Vergangenheit begeben. Denn es soll den Opfern ihre Identität zurückgegeben werden, welche ihnen zuvor in jeder erdenklichen Art und Weise genommen worden ist. Anders, als sich die Nationalsozialisten das vorgestellt hatten, wird die Existenz der Ermordeten nicht einfach nur ausradiert und verschwindet ohne jede Spur von der Bildfläche – nein, jeder einzelne Name ist kostbar. Das Buch trägt wesentlich dazu bei, den Menschen ihre Namen zurückzugeben und die erlittene Anonymität damit wieder aufzuheben.
Auf diese Weise erreicht das Buch der Namen ein ganz bestimmtes Ziel: die niemals endende ewige Erinnerung, um dem Vergessen entgegenzuwirken.
Lisanne Marie Schulze, Q1b

 

Zurück zur Übersicht