Brief an Martha Hindel von Klara Pries

Liebe Frau Hindel,
ich kann gar nicht in Worte fassen, was ich dachte und fühlte, als ich mich mit Ihrer Geschichte befasst habe. Es zerbricht mir das Herz, all die schlimmen Dinge zu lesen, die Ihnen widerfahren sind. Das, was Ihnen angetan wurde, kann man mit nichts, aber auch gar nichts wieder gutmachen. Sie und Ihre Tochter hätten ein schönes und einfaches Leben verdient. Ich habe mir oft vorgestellt, wie Sie und Ihre Tochter Carmen-Lore, damals vor 80 Jahren, lachend und verspielt durch die Straßen Lübecks gelaufen wären, in einer Zeit voller Unbeschwertheit und Freude. Ein Leben erfüllt von Lachen, Fröhlichkeit und Liebe, ist, was ich mir für Sie gewünscht hätte. In den letzten Tagen habe ich mich oft gefragt: ,,Was wäre wenn?" Was wäre, wenn Sie nicht verhaftet worden wären? Was wäre, wenn Sie und Ihre Tochter ein unbeschwertes Leben hätten führen können. Was wäre, wenn Sie Ihren Traum hätten verwirklichen können? Was wäre, wenn man Sie gelassen hätte, Ihre Religion frei auszuleben? Was wäre, wenn Sie frei hätten sein können? Diese Fragen gingen mir ständig durch den Kopf, und ich konnte nicht aufhören, mir den Kopf darüber zu zerbrechen, wie Ihr weiteres Leben hätte aussehen können. Ich bewundere Sie für Ihre Stärke und Ihren Mut und das Aushalten der ständig wiederaufkommenden Angst. Wenn ich an Marta Hindel denke, denke ich an eine unabhängige, voller Lebensfreude sprühende Frau. Eine Frau, die so viel durchgemacht hat und so viel Schmerz mit sich tragen musste, und bis zum Schluss für Ihre Würde und für Ihre Rechte gekämpft hat.


Es gibt Menschen, die sagen, sie könnten nachempfinden, wie es Ihnen und all den anderen Betroffenen ergangen sein mag. Doch der Ansicht bin ich nicht. Ich kann und will mir im Kopf gar nicht ausmalen, was Ihnen angetan wurde, wie Sie ihrer Menschenwürde beraubt und bis zum letzten Atemzug erniedrigt worden sind. Ich kann mir zwar denken, wie Sie sich gefühlt haben mussten, doch zu sagen, dass ich mich in Sie hineinversetzen kann, finde ich nicht richtig. Es wäre falsch, respektlos und Ihnen gegenüber anmaßend, da ich solche Gräueltaten nie erlebt habe. Ich schreibe Ihnen diesen Brief, um Sie wissen zu lassen, dass ich und noch viele andere an Sie und Ihr Schicksal denken und Sie nicht in Vergessenheit geraten.
Es war schön Sie, wenn auch nicht persönlich, kennengelernt zu haben, Ich bin dankbar, dass ich mich mit Ihnen befassen durfte. Ihre Geschichte hat mich berührt und ich werde dafür sorgen, dass ich Sie niemals vergessen werde.
Ruhen Sie in Frieden!
Ihre Klara Pries