Liebe Frieda Bär,
wir hoffen, dieser Brief erreicht dich auf besondere Weise, auch wenn du längst nicht mehr bei uns auf der Erde, sondern an einem anderen Ort ruhst.
Wir sind zwei Teilnehmerinnen im Rahmen einer bevorstehenden Gedenkstättenfahrt nach Auschwitz.
Uns ist bewusst, dass diese Reise für alle Teilnehmer ein tiefgreifendes Erlebnis sein wird. Diese Fahrt soll uns die Gelegenheit bieten, die grausame Geschichte unseres Landes und unserer Vorfahren zu begreifen. Doch mit "begreifen" meinen wir nicht nur, zu wissen, was damals geschehen ist, sondern es auf einer emotionalen Ebene zu erfühlen. Auch wenn diese Gefühle niemals die volle Realität widerspiegeln können.
Frieda, über deine Kindheit ist uns leider nichts bekannt, außer, dass du sie in Lübeck verbracht hast. Weitere Informationen über dein Leben tauchen erst mit dem Umzug von der Königstraße 45 in die St. Annen-Straße 20 in Lübeck im Jahr 1935 auf. Dieser Umzug scheint ein bedeutender Wendepunkt in deinem Leben gewesen zu sein, und wir fragen uns, ob du damals vielleicht schon unbewusst eine Ahnung von den bevorstehenden Veränderungen hattest. Denn ab diesem Zeitpunkt, veränderte sich alles schlagartig.
Nachdem dein Ehemann Semmy Bär und du der Deportation nach Riga im Winter 1941 entkommen wart, war der Verlust von Semmy im folgenden Frühjahr womöglich wie ein emotionaler Tiefpunkt, nach einem Funken Hoffnung. Zu dieser Zeit wohntet ihr wahrscheinlich im Asylheim der jüdischen Gemeinde in der St.-Annen-Straße 11. Wie muss sich dieser Schicksalsschlag für dich angefühlt haben? Obwohl wir womöglich eigentlich gar nicht wissen möchten, wie es sich anfühlt, die einzige Person zu verlieren, die man noch um sich hat und die man liebt, sind wir dennoch interessiert daran, wie du mit dieser tiefen Trauer umgegangen bist.
Nur drei Monate und fünf Tage später folgte das Ereignis, das dich wahrscheinlich schließlich komplett aus dem Leben gerissen hat: die Deportation nach Theresienstadt. Du wurdest zu einem der Opfer dieses schrecklichen Verbrechens. Während wir grade dabei sind, diesen Brief zu schreiben, stellen sich uns lauter Fragen. Wie verlief die Deportation? Hattest du eine Vorstellung davon, was dich erwartet? Welche Gefühle hast du in diesem Moment verspürt? Hast du geahnt, wohin sie euch bringen würden? Wir könnten noch viele weitere Fragen stellen, doch sie werden wohl für immer unbeantwortet bleiben, denn niemand außer dir kann sie beantworten. Und genau das ist das Schlimme an der Vergangenheit.
Nach der Deportation nach Theresienstadt folgte am 29. Januar 1943 der Transport nach Auschwitz, an dem Tag, der dein letzter auf dieser Erde gewesen sein soll.
Während wir nun diese Worte niederschreiben, überkommt uns beide tiefe Nachdenklichkeit. Wir können und wollen einfach nicht verstehen, warum solche Verbrechen Teil unserer Geschichte sind. Warum gibt es Menschen, die andere Menschen verschleppen, leiden lassen und letztendlich töten? Und das alles mit voller Absicht? Es bleibt in unseren Augen unerklärbar.
Frieda, du musst eine unglaublich starke Frau gewesen sein. Und wir haben den vollsten Respekt vor dir und den anderen Opfern des Holocausts. Geschichten wie deine sind Mahnungen an uns alle, niemals die Vergangenheit zu vergessen. Millionen unschuldiger Menschen, unter anderem du, wurden Opfer der schlimmsten Verbrechens der Menschheitsgeschichte.
Was ihr alles erleben musstet, ist einfach nicht vorstellbar. Auch wenn ihr als Zeugen nicht mehr bei uns seid, bleiben eure Geschichten hoffentlich unter uns und dienen nicht nur als Erinnerung, sondern als Beweis eurer Tapferkeit und Stärke.
Deine Geschichte ist eine Mahnung an uns alle, die Erinnerungen an die unmenschlichen Verbrechen und schrecklichen Ereignisse des Holocaust in unseren Gedanken zu bewahren. Wir dürfen niemals vergessen, was geschehen ist, und wir sollten alles in unserer Macht Stehende tun, um sicherzustellen, dass sich solche Gräueltaten nie wiederholen. Und obwohl dies die Vergangenheit nicht ändern kann, hoffe ich, dass sie bewirkt, dass die folgenden Generationen vor ähnlich schrecklichen Schicksalen bewahrt werden.
Und wir persönlich nehmen uns zur Aufgabe, deine Geschichte weiter in die Welt zu bringen.
Du bleibst in unseren Erinnerungen.
Deine Jette und Karolina, Q1
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